Ameisen züchten gezielt Pilze als Nahrungsquelle

Nicht nur Menschen sind in der Landwirtschaft aktiv, auch Ameisen betreiben diese Praxis schon seit Millionen von Jahren. Sie kultivieren Pilze, und zwar seit etwa 66 Millionen Jahren, wie eine Forschungsgruppe, an der die Universität Hohenheim in Stuttgart beteiligt ist, herausgefunden hat. Diese Erkenntnisse basieren auf Gensequenzierungen, die es ermöglichten, einen Stammbaum der Pilze zu erstellen. Durch den Abgleich mit dem Stammbaum der Ameisen konnten die Wissenschaftler eine langanhaltende Koevolution nachweisen, bei der sich die beiden Arten gegenseitig in ihrer Entwicklung beeinflussten. Die Identifikation neuer Arten trägt zudem zum Schutz der Biodiversität bei. Die Ergebnisse dieser Studie wurden kürzlich in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht.

Prof. Dr. Christian Rabeling betont die Notwendigkeit von Geduld und Ausdauer. Bei tropischen Temperaturen verfolgt er aufmerksam kleine, bis zu zwei Meter lange Gänge im Boden, die sich manchmal wie Tannenbäume verzweigen. Vor einigen der Baukünstler, die diese Strukturen errichten, muss er vorsichtig sein, da Blattschneiderameisen aggressiv reagieren können, wenn ihr Bau gestört wird. Kleinere Arten hingegen zeigen sich sehr scheu und ziehen sich zurück.

Es kann bis zu drei Tage dauern, bis der Forscher der Universität Hohenheim ein Nest entdeckt, das etwa die Größe eines Golfballs hat und am Ende eines Ganges liegt. Dort wird Landwirtschaft betrieben, und das seit rund 66 Millionen Jahren, was die neuen Erkenntnisse der Forschenden belegen.

Laut dem Evolutionsbiologen kultivieren Ameisen Pilze gezielt als Nahrungsquelle und liefern ihnen Blätter als Substrat. Mehr als 250 Ameisenarten haben sich auf den Pilzanbau spezialisiert, und die Pilze haben sich im Verlauf der Evolution eng an ihre Wirte angepasst. Es gibt sogar Arten, die Strukturen bilden, die nur in der Kultivierung durch Ameisen vorkommen, und die außerhalb des Nestes nicht gedeihen können. Dies weist auf eine echte koevolutionäre Beziehung hin, in der beide Partner sich gegenseitig beeinflussen und gemeinsam weiterentwickeln.

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Das Phänomen der pilzzüchtenden Ameisen ist seit rund 150 Jahren bekannt. Der Naturforscher Fritz Müller berichtete seinem Kollegen Charles Darwin von seinen Beobachtungen in Brasilien, was dazu führte, dass Darwin den Briefwechsel 1874 zur Publikation im Fachmagazin „Nature“ einreichte. Lange Zeit war es jedoch schwierig, die Pilzarten zu unterscheiden und deren evolutionäre Geschichte nachzuvollziehen. Erst seit den 1990er Jahren ermöglichen molekularbiologische Untersuchungen entsprechende Analysen.

In diesem Zusammenhang können Forschende durch DNA-Sequenzanalysen die Verwandtschaftsbeziehungen verschiedener Arten bestimmen. Die genetische Ähnlichkeit liefert Hinweise auf die Verwandtschaft und den Verlauf der Evolution. Prof. Dr. Rabeling erklärt, dass moderne Hochdurchsatzmethoden dabei eine revolutionäre Rolle in der Evolutionsbiologie spielen.

Die Wissenschaftler verwenden hochkonservierte Gene, die sich über lange Zeiträume und verschiedene Arten hinweg nur geringfügig verändern. Diese Gene sind in vielen Organismen verbreitet und dienen als Ankerpunkte, um aus kleinen Proben Tausende von Genabschnitten zu analysieren. Dadurch können umfassende Stammbäume erstellt werden.

Für die Ameisen existierten bereits Stammbäume, jedoch ist es nun gelungen, auch Stammbäume für die Pilze zu erstellen. Prof. Dr. Rabeling zeigt sich erfreut über den neuen Evolutionsbaum, der 475 Pilzarten umfasst und mit einem Baum für 276 Ameisenarten kombiniert wurde. Der Vergleich ergab, dass ein gemeinsamer Vorfahre sowohl der pilzzüchtenden Ameisen als auch der Pilze vor etwa 66 Millionen Jahren lebte – kurz nach dem Einschlag eines Asteroiden auf der heutigen mexikanischen Halbinsel Yucatán, der das Aussterben der Dinosaurier verursachte.

Dieser Zeitpunkt stellt eine bedeutende Phase in der Erdgeschichte dar, nicht nur für die Dinosaurier. Die Abkühlung und Dunkelheit führten zu einem massiven Sterben vieler Pflanzenarten, was den Pilzen einen evolutionären Vorteil verschaffte. Dies könnte entscheidend dafür gewesen sein, dass sich Ameisen zunehmend auf Pilze spezialisierten.

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Im Rahmen ihrer Forschung entdeckten und beschrieben die Wissenschaftler zahlreiche neue Arten und Gattungen, was dem zukünftigen Schutz der Biodiversität zugutekommt. Das Kompetenzzentrum für Biodiversität und integrative Taxonomie (KomBioTa), zu dem das Fachgebiet von Prof. Dr. Rabeling gehört, hat sich diesem Thema angenommen.

Der Experte hebt hervor, dass die Beschreibung neuer Arten der erste Schritt zum Schutz der Artenvielfalt ist. Nur Arten, die bekannt sind, können geschützt werden. Je mehr Informationen über deren Vorkommen und Lebensweise vorliegen, desto besser können geeignete Schutzmaßnahmen entwickelt werden.

**HINTERGRUND: Kompetenzzentrum Biodiversität und integrative Taxonomie (KomBioTa)**

Das Artensterben, insbesondere der Rückgang der Insekten, zählt zu den großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Der Verlust an Vielfalt betrifft Pflanzen, Tiere, Pilze und Mikroorganismen, deren Fehlen die Funktion von Ökosystemen und damit essentielle Dienstleistungen für den Menschen, wie die Bestäubung von Pflanzen sowie die Reinigung von Luft und Wasser, gefährdet.

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, wurde 2020 an der Universität Hohenheim und am Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart das Kompetenzzentrum KomBioTa eingerichtet. Es vereint verschiedene Arbeitsgruppen beider Institutionen für gemeinsame Forschungs- und Lehrprojekte, darunter das Fachgebiet „Integrative Taxonomie der Insekten“ unter der Leitung von Prof. Dr. Christian Rabeling. Das Land Baden-Württemberg fördert das KomBioTa im Rahmen der Landesinitiative „Integrative Taxonomie“ mit rund 1 Million Euro jährlich.

Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung von idw – Informationsdienst Wissenschaft/ Veröffentlicht am 17.10.2024