Die emotionale Bindung von Beschäftigten an ihr Unternehmen kann maßgeblich durch das Verhalten der Führungskräfte sowie durch die individuelle Anpassung der Arbeitsbedingungen an die Bedürfnisse der Mitarbeitenden gefördert werden. Dies belegt eine repräsentative Umfrage des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) für den Fehlzeiten-Report 2024. Beschäftigte mit einer stärkeren emotionalen Bindung an ihren Arbeitgeber berichteten auch von höherer Arbeitszufriedenheit, weniger Fehlzeiten und einer signifikant geringeren Neigung, den Job zu wechseln. Der aktuelle Bericht mit dem Titel „Bindung und Gesundheit – Fachkräfte gewinnen und halten“ untersucht zudem die neuesten Entwicklungen bei den Krankschreibungen, die auf einem historisch hohen Niveau verharren.
Die Forschungsbereichsleiterin für Betriebliche Gesundheitsförderung im WIdO, Johanna Baumgardt, wies darauf hin, dass angesichts des aktuellen Fachkräftemangels und der zahlreichen offenen Stellen Arbeitgeber zunehmend gefordert sind, die Bindung ihrer Mitarbeitenden an die eigene Organisation zu stärken. Die Untersuchung verdeutlichte, dass eine starke emotionale Bindung an den Arbeitgeber mit höherer Arbeitszufriedenheit und einer geringeren Wechselbereitschaft der Mitarbeitenden korreliert. Die Ergebnisse zeigten, dass lediglich 6,4 Prozent der Befragten planten, weniger als ein Jahr bei ihrem aktuellen Arbeitgeber zu bleiben. 8,4 Prozent beabsichtigten, mehr als fünf Jahre im Unternehmen zu verbleiben, und 5,1 Prozent sogar mehr als zehn Jahre. Der größte Anteil der Befragten, nämlich 57,3 Prozent, gab an, bis zur Rente im Unternehmen bleiben zu wollen.
Zusammenhang zwischen Bindung und Gesundheit bestätigt
Ein weiteres Ergebnis der Studie belegte, dass Mitarbeitende, die emotional stärker an ihrem Arbeitgeber gebunden sind, seltener krankgeschrieben werden und seltener trotz Erkrankung zur Arbeit erscheinen. Der Fehlzeiten-Report bestätigt damit den Zusammenhang zwischen einer höheren Bindung der Mitarbeitenden an die Organisation und einer besseren Gesundheit, der auch in anderen Studien nachgewiesen wurde. Baumgardt empfahl, dass Organisationen, die ihre Mitarbeitenden langfristig binden möchten, Maßnahmen zur Steigerung der Arbeitszufriedenheit und zur Verbesserung der Passung der Mitarbeitenden zur eigenen Arbeit implementieren sollten. Zudem sei es wichtig, die Führungskompetenzen der Leitungskräfte zu stärken und in die Gesundheit der Mitarbeitenden durch Betriebliche Gesundheitsförderung zu investieren. Fast alle Befragten (91,9 Prozent) gaben an, dass ihr Arbeitgeber Angebote zur Betrieblichen Gesundheitsförderung bereitstellt; die Hälfte hatte solche Angebote bereits genutzt. Für die repräsentative Umfrage des Fehlzeiten-Reports 2024 wurden insgesamt 2.501 Beschäftigte im Alter von 18 bis 66 Jahren durch das forsa-Institut befragt.
Historisch hohe Krankschreibungszahlen setzen sich auch 2024 fort
Die aktuelle Analyse der Krankschreibungen zeigt, dass sich die Krankenstände im bisherigen Verlauf des Jahres 2024 weiterhin auf historisch hohem Niveau bewegen. Der Höchstwert von 225 Arbeitsunfähigkeitsfällen je 100 erwerbstätige AOK-Mitglieder aus dem Vorjahr wurde bereits zwischen Januar und August 2024 erreicht, und das noch vor der erwarteten Erkältungswelle im Herbst und Winter. Baumgardt äußerte die Einschätzung, dass in der Gesamtbilanz für 2024 ein noch höherer Wert als 2023 zu erwarten ist. Im Vergleich dazu lag der Durchschnitt von 2014 bis 2021 bei knapp 160 Fällen je 100 Mitglieder.
Die Atemwegserkrankungen bleiben der Haupttreiber dieser Entwicklung. Laut der WIdO-Expertin ist der Krankenstand wahrscheinlich aufgrund einer erhöhten Anfälligkeit für Infektionen sowie durch neue virale Erkrankungen in den letzten Jahren insgesamt höher. Weitere mögliche Gründe könnten die Einführung elektronischer Krankmeldungen sein, die zu einer vollständiger erfassten Dokumentation der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen beigetragen haben könnte. Baumgardt vermutet, dass vor der Einführung der elektronischen Krankmeldung nicht alle Versicherten ihre Bescheinigungen bei der Kasse eingereicht haben, was nun zu einem umfassenderen Bild führt.
Reimann sieht keine Hinweise auf Missbrauch der telefonischen Krankschreibung
Dr. Carola Reimann, die Vorsitzende des AOK-Vorstands, ging auf einen anderen Aspekt ein, der in letzter Zeit im Zusammenhang mit den hohen Krankenständen diskutiert wurde. Ende September hatte der Bundesfinanzminister die Abschaffung der telefonischen Krankschreibung gefordert, da eine Korrelation zwischen dem hohen Krankenstand und dieser Maßnahme vermutet wird. Reimann stellte jedoch klar, dass sie diese Annahme nicht bestätigen könne. Die verschiedenen Auswertungen des WIdO zu den Fehlzeiten während der Pandemie würden nahelegen, dass die neu eingeführte Möglichkeit der telefonischen Krankschreibung verantwortungsvoll genutzt wurde. Weder 2020 noch 2021 seien höhere Krankenstände im Zusammenhang mit dieser Option festgestellt worden. Ihrer Ansicht nach habe die Pandemie gezeigt, dass die telefonische Krankschreibung verantwortungsvoll eingesetzt wurde und eine Entlastung der Arztpraxen in Zeiten von Infektionswellen darstellen kann, wodurch der Kontakt zu erkrankten Personen reduziert wird. Sie befürwortete daher die Beibehaltung dieser Option, die der Gemeinsame Bundesausschuss im Dezember 2023 dauerhaft beschlossen hatte.
Anhaltender Anstieg und lange Ausfallzeiten bei psychischen Erkrankungen
Ein langfristig wirkender Faktor für höhere Krankenstände sind laut dem Report die kontinuierlich steigenden Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen, die oft zu längeren Krankschreibungen führen. Seit 2014 sind die AU-Tage aufgrund psychischer Erkrankungen um fast 47 Prozent gestiegen (Stand: August 2024). Bei Krankschreibungen wegen Burnout gab es einen Anstieg von 100 AU-Tagen je 100 erwerbstätige AOK-Mitglieder im Jahr 2014 auf fast 184 Tage im Jahr 2024 (Stand: August 2024). Als mögliche Ursachen vermutet der Report eine Kombination verschiedener Faktoren, wie die Zunahme psychischer Belastungen durch globale Krisen und Veränderungen in der Arbeitswelt, beispielsweise durch Verdichtung und die ständige Erreichbarkeit. Besonders betroffen sind Berufe im Bereich Erziehung und Unterricht sowie im Gesundheits- und Sozialwesen und in anderen kontaktintensiven Bereichen wie der öffentlichen Verwaltung.
Psychosoziales Klima als entscheidender Faktor für die Bindung von Pflegekräften
Das psychosoziale Sicherheitsklima in Pflegeeinrichtungen spielt eine entscheidende Rolle für die Bindung der Mitarbeitenden. Eine im Fehlzeiten-Report veröffentlichte Studie ergab, dass ein erheblicher Teil der befragten Pflegefachkräfte über einen Arbeitsplatzwechsel (52 Prozent) oder gar über den Ausstieg aus der Pflege (39 Prozent) nachgedacht hat. Bei 13 Prozent ist der Wechsel des Arbeitsplatzes akut, bei 8 Prozent stellt sich die Frage eines Berufswechsels. In Pflegeeinrichtungen, die der Gesundheit der Beschäftigten hohe Priorität einräumen und ein positives Klima hinsichtlich der mentalen Gesundheit fördern, ist die Bereitschaft zum Wechsel oder Ausstieg laut der Studie nur etwa halb so hoch wie in Einrichtungen mit einem schlechten psychosozialen Sicherheitsklima. Laut Dr. Antje Ducki, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Berliner Hochschule für Technik (BHT) und Mitherausgeberin des Fehlzeiten-Reports 2024, sind Glaubwürdigkeit und die Übereinstimmung des Managements im Umgang mit Fragen der psychischen Gesundheit entscheidende Faktoren für die Bindung der Mitarbeitenden.
Ein Beispiel für eine Maßnahme zur Verbesserung des psychosozialen Sicherheitsklimas ist das Programm „Care4Care“, das auf die Betriebliche Gesundheitsförderung in Pflegeeinrichtungen abzielt. Dieses umfasst Online-Trainings zur Stärkung der psychischen Gesundheit der Mitarbeitenden sowie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Ergänzt wird das Programm durch E-Assessments, E-Coachingangebote und Team-Workshops vor Ort. Das teildigitale Programm, das in Zusammenarbeit mit der Wissenschaft entwickelt und getestet wurde, ermöglicht es, flexibel auf Veränderungen im Umfeld zu reagieren und passgenaue Angebote für einzelne Pflegekräfte, ganze Teams und Führungskräfte bereitzustellen. Eine wissenschaftliche Evaluation des Programms hat gezeigt, dass durch die Nutzung des Programms das psychosoziale Sicherheitsklima verbessert werden konnte, wie Prof. Dr. Antje Ducki feststellte.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung von AOK-Bundesverband/ Veröffentlicht am 08.10.2024