Der Onlinehandel entwickelt sich zunehmend zu einem Treiber für den Wandel von einer linearen hin zu einer zirkulären Wirtschaftsweise. Das verdeutlicht die aktuelle Untersuchung „Relevanz und Perspektiven des Re-Commerce für den deutschen Handel“, die der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland (bevh) gemeinsam mit dem Institut für Handel und Internationales Marketing der Universität des Saarlandes sowie dem ibi research Institut der Universität Regensburg veröffentlicht hat. Die Studie analysiert den deutschen Markt für gebrauchte, überarbeitete und sogenannte Vintage-Produkte im Onlinehandel, beleuchtet ökologische Potenziale und formuliert Empfehlungen für eine verbesserte politische Unterstützung.
Nach Einschätzung von Daniela Bleimaier, die beim bevh für Public Affairs und Nachhaltigkeit zuständig ist, könne der E-Commerce einen wesentlichen Beitrag zu einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft leisten und stelle damit eine Alternative zur Wegwerfgesellschaft dar. Sie machte deutlich, dass dieser Vertriebsweg zeige, wie nachhaltiger Konsum und preisbewusstes Einkaufen miteinander vereinbar seien. Ihrer Ansicht nach habe die Politik zahlreiche Möglichkeiten, den Handel bei dieser Entwicklung aktiv zu begleiten. Der Verband wolle mit der Studie aufzeigen, wie dies gelingen könne. Verbraucherinnen und Verbraucher erhielten durch Re-Commerce einen niedrigschwelligen Zugang zu gut erhaltenen Artikeln zu günstigen Konditionen. Gerade in stark preisgetriebenen Marktsegmenten könne diese Form des Handels eine nachhaltige Alternative darstellen. Gleichzeitig ermögliche Re-Commerce den Anbietern, ihre Kunden stärker an sich zu binden und durch lokale Beschaffung ihre Lieferketten resilienter zu gestalten, so Bleimaier weiter.
Dynamisches Marktwachstum
Inzwischen haben sich neben Peer-to-Peer-Plattformen auch klassische Onlinehändler auf den Handel mit gebrauchten Waren spezialisiert. Viele von ihnen bieten eigene Re-Commerce-Sektionen an – beispielsweise für Produkte aus dem Mode- oder Technikbereich. Damit geht der Onlinehandel über den bisher meist privat organisierten Gebrauchtwarenmarkt hinaus und etabliert sich zunehmend als strukturierter Wirtschaftszweig, der auch Serviceleistungen wie Garantien oder Reparaturen umfasst. Im Jahr 2024 belief sich das Re-Commerce-Volumen in Deutschland auf rund 9,9 Milliarden Euro – ein Anstieg um 7,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Für Europa wird für das Geschäftsjahr 2022/2023 ein Marktvolumen von 94 Milliarden Euro veranschlagt. Prognosen zufolge dürfte dieser Wert 2025 auf rund 120 Milliarden Euro steigen.
Re-Commerce als gelebter Alltag
Dass gebrauchte Produkte zu reduzierten Preisen auf breite Akzeptanz stoßen, belegt eine Befragung von 1.903 Konsumentinnen und Konsumenten. Demnach haben 55 Prozent der Teilnehmenden im letzten Jahr Second-Hand-Artikel online erworben. Gleichzeitig gaben 52 Prozent an, selbst gebrauchte Waren verkauft zu haben – vor allem Kleidung, Bücher und Elektronik. Besonders aktiv seien laut Studie jüngere Menschen mit höherem Bildungsstand und überdurchschnittlichem Einkommen.
Als wichtigste Kaufmotive nannten die Befragten zum einen das Umweltbewusstsein (71,5 Prozent), zum anderen aber auch die attraktiven Preise (71,2 Prozent) und das bessere Verhältnis von Preis zu Leistung (66,0 Prozent). Für über die Hälfte der Teilnehmenden (54,5 Prozent) bedeutet der Kauf gebrauchter Ware eine finanzielle Entlastung, die Mehrheit (54,7 Prozent) setzt die dadurch eingesparten Mittel für alltägliche Ausgaben ein. Rund 36 Prozent investieren das Geld in weitere Second-Hand-Produkte, etwa ein Drittel entscheidet sich für das Sparen.
Für die kommenden zwölf Monate gaben 76,6 Prozent der Befragten an, mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut gebrauchte Produkte online erwerben zu wollen. 53 Prozent rechnen sogar damit, in Zukunft noch häufiger auf Re-Commerce-Angebote zurückzugreifen. Nachhaltigkeitsaspekte treten bei den zukünftigen Kaufentscheidungen jedoch etwas in den Hintergrund – entscheidend sind verstärkt finanzielle Vorteile, ein erweitertes Konsumangebot und der mit dem Stöbern verbundene Spaßfaktor.
Großes ökologisches Einsparpotenzial
Ein erheblicher Anteil der Umweltauswirkungen entsteht bei der Neuproduktion von Konsumgütern – bei Elektronikartikeln liegt dieser Wert bei über 80 Prozent, bei Textilien bei mehr als 70 Prozent der gesamten CO2-Emissionen im Lebenszyklus. Durch den Kauf gebrauchter Produkte lassen sich laut Studie 60 bis 80 Prozent der CO2-Äquivalente gegenüber Neuware einsparen. Auch wenn zusätzliche Transportwege und potenziell gesteigerter Konsum als Nebeneffekte auftreten können, fällt die Klimabilanz von Second-Hand-Produkten insgesamt deutlich günstiger aus.
Hemmnisse durch rechtliche Rahmenbedingungen
Für viele Unternehmen ist Re-Commerce mittlerweile eine strategisch relevante Ergänzung zum klassischen Geschäft. Die Beweggründe reichen von nachhaltigen Unternehmenszielen über ökonomische Chancen bis hin zur Kundenbindung und Innovationsförderung. Dennoch sehen sich Händler mit einer Vielzahl an Herausforderungen konfrontiert. Genannt werden insbesondere rechtliche Unsicherheiten bei Gewährleistung und Rückgabe, steuerliche Hürden bei der Differenzbesteuerung, fehlende Produktdaten – etwa zum Echtheitsnachweis bei Markenartikeln – sowie unklare Zuständigkeiten bei Plattformen in Bezug auf Kennzeichnung und Haftung.
Aus Sicht von Daniela Bleimaier wird Re-Commerce bislang nicht ausreichend als Bestandteil einer nachhaltigen Transformation anerkannt und finde bei Gesetzesinitiativen noch zu wenig Berücksichtigung. Sie hält einen gezielten politischen Rahmen auf nationaler und europäischer Ebene für dringend erforderlich. Aus ihrer Sicht sollten das Vertrauen in Re-Commerce gestärkt und verlässliche Standards eingeführt werden – etwa durch Zertifikate, Herkunftsnachweise und transparente Angaben zur Wiederaufbereitung. Auch eine reduzierte und europaweit harmonisierte Mehrwertsteuer auf aufbereitete Produkte sei sinnvoll. Digitale Produktpässe müssten so ausgestaltet sein, dass alle Marktteilnehmer Zugang zu relevanten Reparaturinformationen erhielten. Ebenso sollten offene Datenstandards zu Herkunft, Nutzungsdauer und Reparierbarkeit eingeführt und klare Definitionen für Begriffe wie „gebraucht“, „refurbished“ oder „recycelt“ geschaffen werden.
Über den bevh
Der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland e.V. vertritt die Interessen interaktiver Handelsunternehmen – darunter Online- und Versandhändler sowie deren Dienstleister. Durch Zusammenschlüsse mit dem Bundesverband Lebensmittel-Onlinehandel und dem Verband der Versandbuchhändler repräsentiert der bevh heute rund 90 Prozent des Branchenumsatzes im Endkundengeschäft. Neben der politischen Interessenvertretung gehören die Information der Mitglieder, die Vernetzung innerhalb der Branche sowie die fachliche Beratung zu den zentralen Aufgaben.
Über ibi research
Die ibi research GmbH an der Universität Regensburg bildet seit 1993 eine Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis. Das Institut widmet sich praxisorientierter Forschung mit einem Schwerpunkt auf digitalen Geschäftsmodellen und Innovationsumsetzung – insbesondere in den Bereichen Finanzdienstleistungen, E-Business, Multikanalhandel und Governance. Darüber hinaus begleitet ibi research Unternehmen bei der konkreten Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse.
Über das Institut für Handel und Internationales Marketing
Das Institut für Handel und Internationales Marketing (H.I.MA.) an der Universität des Saarlandes betreibt praxisnahe Forschung zu Fragestellungen des Handels- und Dienstleistungsmanagements. Aktuelle Schwerpunkte liegen in den Bereichen Vertrieb, Plattformökonomie, Markenführung, innovative Geschäftsmodelle und Nachhaltigkeit. Als Teil des Instituts für empirische Wirtschaftsforschung ist H.I.MA. in eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen wirtschaftswissenschaftlichen Bereichen eingebunden.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung von Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland e.V. (bevh) / Veröffentlicht am 25.06.2025