Forschende des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie in Jena und der Technischen Universität Ilmenau haben gezeigt, dass Pflanzenbeobachtungen, die mit Pflanzenbestimmungs-Apps wie Flora Incognita gesammelt werden, Rückschlüsse auf die Entwicklungsstadien von Pflanzen ermöglichen können – sowohl lokal als auch europaweit.
Es ist offensichtlich, dass viele, die die Natur aufmerksam betrachten, sich fragen, ob Schneeglöckchen in diesem Jahr früher blühen als üblich. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) hat bereits darauf hingewiesen, dass der phänologische Erstfrühling in diesem Jahr bereits im vollen Gange ist – drei Wochen früher als im langjährigen Durchschnitt.
Pflanzen in gemäßigten Breiten durchlaufen jedes Jahr den gleichen Zyklus von Blüte, Blattaustrieb, Fruchtbildung, Laubfärbung und Laubabwurf. Diese wiederkehrenden Ereignisse werden als Phänologie bezeichnet und sind eng mit den vorherrschenden lokalen klimatischen Bedingungen verbunden. Der Klimawandel beeinflusst diese Entwicklungserscheinungen, und verschiedene Pflanzenarten reagieren unterschiedlich auf Veränderungen wie einen früheren Frühlingseintritt.
Dies hat Auswirkungen auf natürliche Nahrungsketten und den Zeitpunkt bestimmter landwirtschaftlicher Aktivitäten. Es kann ökologisch bedeutsam sein, dass Pflanzen blühen, während bestäubende Insekten noch nicht aktiv sind. Daher ist es wichtig, die Pflanzenphänologie vieler Arten über große Flächen und lange Zeiträume hinweg zu dokumentieren. Traditionell erfolgt das phänologische Monitoring, z.B. vom Deutschen Wetterdienst (DWD), durch geschulte Freiwillige. Die Zahl dieser Freiwilligen sinkt jedoch seit Jahren stark. Darüber hinaus sind solche Datenerhebungen oft auf bestimmte Länder, Regionen und Pflanzenarten beschränkt.
In zwei neuen Forschungsarbeiten konnten Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie (MPI-BGC) in Jena und der Technischen Universität Ilmenau zeigen, dass Pflanzenbestimmungen mit kostenlosen Smartphone-Apps wie Flora Incognita oder Daten von Plattformen wie iNaturalist Unterschiede in der Phänologie von Pflanzenarten abbilden können und somit eine wertvolle Datenquelle für weitere Forschung darstellen.
In einer neuen Veröffentlichung zeigen die Forschenden, dass die Beobachtungsmuster von Flora Incognita für einige Arten gut mit denen des Deutschen Wetterdienstes übereinstimmen. Wenn der DWD beispielsweise einen früheren Blühbeginn des Holunders in einem Jahr im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet, findet sich diese Verschiebung auch in den Bestimmungsanfragen bei Flora Incognita wieder. Denn sobald Pflanzen zu blühen beginnen, werden sie von Interessierten wahrgenommen und die Bestimmungsanfragen nehmen stark zu.
Negin Katal, Doktorandin am MPI-BGC und Erstautorin der Studie, erklärt: „Benutzer von Flora Incognita leisten einen doppelten Beitrag: Sie lernen beim Erkunden der Natur mehr über Pflanzen und sammeln gleichzeitig wichtige Daten für das phänologische Monitoring in Deutschland und Europa.“
In einer weiteren Veröffentlichung zeigen die Forschenden, dass Smartphone-Beobachtungen vieler Pflanzenarten bekannte überregionale phänologische Muster widerspiegeln, z.B. das spätere Blühen von Arten in Nord- und Osteuropa oder abhängig von der Geländehöhe.
„Wir konnten zeigen, dass phänologische Muster in Citizen-Science-Daten zu finden sind, obwohl diese nicht für das Phänologiemonitoring erhoben wurden“, sagt Dr. Michael Rzanny vom MPI-BGC und Erstautor der Studie. „Bestimmte Ereignisse wie der Blühbeginn lassen sich aus den Daten ablesen – auch auf größeren Skalen.“
Prof. Patrick Mäder, Co-Leiter des Flora-Incognita-Projekts an der Technischen Universität Ilmenau, kommentiert: „Die vorliegenden Arbeiten zeigen deutlich, dass die Anstrengungen in der Entwicklung der Flora-Incognita-App, insbesondere in der KI-basierten automatischen Bestimmung, fünf Jahre nach der ersten Veröffentlichung der App auch für die Forschung Früchte tragen. Wir ermöglichen damit sehr vielen Menschen mit unterschiedlichen botanischen Vorkenntnissen, sich am phänologischen Monitoring zu beteiligen“.
„Wir freuen uns, dass einige Nutzer jedes Jahr aufs Neue den Blühbeginn des Schneeglöckchens oder die Holunderblüte fotografieren, auch wenn sie die Arten längst kennen“, ergänzt Dr. Jana Wäldchen, Co-Projektleiterin am MPI-BGC. „Die Lebenszyklen von Pflanzen bewusst wahrzunehmen ist eine gute Möglichkeit, sich mit den Veränderungen in der Natur auseinanderzusetzen; und Flora Incognita macht die Dokumentation einfach!“
Die Ergebnisse beider Forschungsarbeiten zeigen, dass neue Datenquellen wie Bestimmungs-Apps und Meldeplattformen mehr bieten als die Befriedigung individueller Neugier: Sie stellen eine verlässliche Quelle für räumliche und zeitliche Vorkommen von Pflanzenarten dar und ermöglichen Forschung zu unterschiedlichen Fragestellungen.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung von Technische Universität Ilmenau/ Veröffentlicht am 14.03.2024